Fundstück: Diesen Beitrag habe ich im Jahr 2003 für das Jahrbuch 2004 Osnabrücker Land geschrieben!
Es war einer dieser wunderschönen warmen Maitage, an dem ich zu meiner Freude einen freien Sonntag genießen durfte. Der Morgen hatte mit einem ausgiebigen Frühstück begonnen und nun machte ich mich auf den Weg zum alljährlich in der Innenstadt stattfindenen Flohmarkt. Eigentlich hatte ich schon alles, meine urgemütliche kleine Wohnung platzte wahrlich schon aus allen Nähten. Doch der Urinstinkt des Jägers und Sammlers ließ mich jedes Mal erneut auf Beutejagd gehen. So auch an diesem Sonntag im Mai. Die kleinen Gassen rund um die Einkaufsmeile waren mit Tapeziertischen, auf denen jegliches Sammelgut aufgebahrt wurde, gepflastert.
Hinter den Tischen kauerten ältere Menschen und geschulte Händler gleichermaßen.
An diesem Tag aber trieb mich kein bestimmtes Ziel. Ich wollte lediglich durch die Straßen bummeln und alles, was dort geboten wurde, in Augenschein nehmen. Als ich so an den Ständen mit alter, angestaubter Literatur vorbeischlenderte, fiel mein Augenmerk auf einen kleinen Teppich, der am Boden lag und auf dessen Oberfläche ein kleiner Junge saß. Er schien ein wenig traurig und niedergeschlagen zu sein. Vor sich aufgebaut, blickten verdreckte Plüschtiere ins Leere. Ein paar Legobausteine und Überreste eines kunstvoll geschnitzten Spielzeugbauernhofes ließen auf eine bessere Zeit in seiner Kindheit schließen. Beim näheren Betrachten seiner Schätze entdeckte ich einen dunkelbraunen Stoffaffen, der meine Neugierde weckte.
Was mag dieses Spielzeug wohl schon alles durchlebt haben, fragte ich mich insgeheim, und musste unweigerlich an meine eigenen Kindheit zurückdenken. Ich hätte mich nie von einem meiner Stofflieblinge getrennt, selbst jetzt nicht, wo ich selbst hätte Kinder haben können. Sie gehörten für mich einfach zu meinem Teil meines Lebens dazu. Irgendwann würde ich mich meinen Kindern zuliebe davon trennen.
Ich überlegte also kurz, was diesen Jungen dazu bewegt haben mochten, sein Hab und Gut auf dem Flohmarkt zu verkaufen. Es überkam mich Mitleid, Mitleid diesem armen Tropf gegenüber. Was immer ihn zu diesem Entschluss getrieben haben mochte, es musste schmerzlich für ihn gewesen sein.
Sicherlich was das plüschige Tierchen einmal kostengünstig in Taiwan oder China hergestellt worden, und hatte auch durchaus bessere Zeiten erlebt. Im Kaufhaus ausgestellt und nett dekoriert hatte es nach langer Reise um die halbe Welt auf einen Spielkameraden Ausschau gehalten. Der kleine Junge war sicherlich mit seinen Eltern oder Großeltern vorbeigekommen und hatte sich in den Plüschträger verguckt. Dabei hatte er mit seinen großen Kinderaugen das Herz der Erwachsenen erweicht und das Kerlchen mit nach Hause nehmen dürfen. Dort angekommen wurde es geknuddelt, mit in den Sandkasten und zu jedem Spielnachmittag mit zu den Freunden genommen. Wie schön war sicherlich sein Leben. Doch was war geschehen? Warum wollte er sich jetzt von ihm trennen? Diese Tatsache passte so gar nicht in meine naive Vorstellung hinein.
Vielleicht war es aber auch ganz anders gewesen.
Wahrscheinlich hatte das Kind den Affen für einen Moment interessant gefunden und seinen Willen bei der Familie durchgesetzt. Glücklich, wieder einmal das bekommen zu haben, was man wollte, wurde die Beute mit nach Hause genommen. Doch wie sich herausstellte, war der plüschige Zeitgenosse nicht halb so interessant wie der Gameboy oder die Playstation. So schnell wie er das Tier bekommen hatte, war es auch schon wieder vergessen. Von einer Ecke in die andere verbannt, landete der Affe letztendlich im Inneren des Kleiderschranks. Gemeinsam mit anderen Teddybären fristete er dort sein unbemerktes Dasein. Auf ein besseres Leben hoffend, wurde er bis zu diesem Tage einfach vergessen.
Doch heute, heute war endlich sein Tag. Er hatte endlich die Möglichkeit mit einem neuen Kind nach Hause zu dürfen, und dort, nach einem ausgiebigen Bad im 30 Grad Waschprogramm der Waschmaschine, endlich wieder in ein kuscheliges Bett zu dürfen.
Nachdem ich so einige Zeit da stand, entschloss ich mich weiter zu gehen und nachher noch einmal vorbei zu schauen. Auf einem Bummel vorbei an unzähligen Tischen entdeckte ich zu meiner vollsten Zufriedenheit eine lange von mir gesuchte Tonschale. Das Prunkstück kam in einer der am Boden stehenden Kisten zum Vorschein. Ein altes, handgefertigtes Unikat, das einst in liebevoller Töpferarbeit entstanden sein musste. Mit dieser Ausbeute des Tages vollkommen zufrieden, entschloss ich mich kurz vor Ende des Marktes, noch einmal bei dem Jungen vorbei zu schauen. Doch am Ort der Begegnung angelangt, war von dem Jungen weit und breit nichts mehr zu sehen. Er hatte wahrscheinlich keine Lust mehr gehabt, oder womöglich all seine wertvollen Stücke verkauft. Traurig, nicht zu wissen, was aus dem Stofftier geworden war, ging ich weiter. Die Händler begannen nun langsam damit, ihre Stände abzubauen und den nicht verkauften Trödel auf einen Haufen zu werfen. Tja, und was glaubt ihr, was ich auf einem dieser Haufen entdeckte…? Genau, den kleinen Affen! Lieblos weggeworfen, spiegelte er für mich ein stückweit auch das wieder, was viele Menschen heute so leichtfertig mit ihren Freundschaften machen. Ein trauriges Bild, das ich für mich nur dadurch wieder ins rechte Licht rücken konnte, indem ich dem Plüschtier ein neues Zuhause gab.