Keine Emotion hat mich in den letzten Monaten so sehr beschäftigt wie die Angst. Nicht nur privat, sondern auch beruflich war sie in den letzten Monaten ein ständiger Begleiter. Doch warum ist das so? Normalerweise verdrängen wir unsere Angstgefühle. Wir wollen diese nicht spüren, sondern vermeiden Situationen, in denen wir sie fühlen könnten.

Warum ist das ein Problem?

Wenn wir unsere Emotionen ständig verdrängen, drücken wir sie weg. Wir lassen die Energie nicht fließen, sondern leisten stattdessen Widerstand. Dadurch entsteht Druck und Spannung in unserem Körper und wir fühlen uns antriebslos, gestresst und müde.

Doch warum zeigt sich die Angst gerade jetzt so intensiv? Wir befinden uns aktuell in einem nie zuvor da gewesenen Veränderungsprozess. Die vermeintliche Sicherheit im außen ist nicht mehr gegeben und so wird jeder mit sich und seiner Persönlichkeit konfrontiert. So auch mit den eigenen, lang verdrängten Ängsten. Durch die Ausgangsbeschränkung konnten wir uns nur eingeschränkt ablenken, so dass viele Menschen sich selbst nicht entkommen konnten.

Sind die Ängste real?

Sie entstehen in uns und nur wir können unserer Angst die Macht nehmen, indem wir ihr aktiv begegnen, sie zulassen und somit auflösen. Ich erzähle meinen Klienten an dieser Stelle gerne die Metapher vom Pick-up. Stellen wir uns einmal bildlich einen Pick-up mit Ladefläche vor. Am Lenkrad dieses Fahrzeuges sitzt die Angst, während ich auf der Ladefläche sitze und mich fahren lasse. Was passiert? Ich werde unbewusst an einen Ort gefahren, den ich nicht besuchen möchte. Die Reiseroute gefällt mir nicht. Doch was kann ich stattdessen machen? Ich kann mir die Situation bewusst machen, indem ich bildlich gesprochen von der Ladefläche auf den Beifahrersitz wechsle und die Angst beobachte. Ist diese Angst wirklich real? Fahren wir überhaupt? Wenn nein, übernehme ich wieder das Lenkrad und lenke wieder in die Richtung, in die ich wirklich fahren möchte.

Was bedeutet es für den Veränderungsprozess in meinen Familienunternehmen?

Für uns stellt sich aktuell die Frage, ob Menschen sich überhaupt verändern können, und wie schnell eine Veränderung gelingen kann.

Im Allgemeinen versuchen wir unser Leben so zu organisieren, dass es für uns angenehm erscheint. Veränderung heißt notwendigerweise die Aufgabe von bereits Bekanntem zu Gunsten von Neuem und Ungewissem. Es bedeutet für uns vermeintlich, Kontrolle über unser Leben zu verlieren. Jede noch so geringe Veränderung wird daher erst einmal mit großer Skepsis betrachtet. Es ist also völlig normal, auf Veränderungen nicht mit spontaner Begeisterung zu reagieren. Veränderungen greifen vermutlich in unsere Handlungsfreiheit ein, sie wirken bedrohlich auf unsere Eigeninteressen und stellen unsere bisherigen Handlungsmuster, Entscheidungen, ja womöglich unsere gesamte Identität in Frage.

Eine Steigerung zu selbst gewählter Veränderung stellt eine Veränderung dar, die ein Mensch nicht einmal selbst initiiert hat. So geschehen im „Lockdown“.

Werden von außen Forderungen zur Veränderung an uns gestellt, reagieren wir mit einem Programm, das uns quasi die Evolution als Überlebensstrategie für den äußersten Notfall eingebaut hat. Wir haben Angst! Ein eingebauter Sicherungsmechanismus lässt bei uns in einer Blitzaktion ein Prüfprogramm ablaufen, dessen Ergebnis für uns handlungsleitend wird. Jede stattfindende Veränderung wird dahingehend überprüft, ob sie für uns eine Bedrohung darstellt oder nicht. Die sofortige Überprüfung einer Bedrohung hat für uns Menschen eine überlebenswichtige Funktion. Sie hat absolute Priorität und bildet ein biologisches Grundmuster ab. Vermuten wir eine Bedrohung, stellen wir uns sofort eine zweite entscheidend Frage: Bin ich dieser Bedrohung gewachsen? Wenn nein, aktivieren wir unser archaisches Angstabwehrprogramm. Für das Auslösen von Ängsten ist es dabei völlig irrelevant ob sie berechtigt sind oder nicht, wie realistisch oder unrealistisch sie sind. Eine Person entscheidet immer individuell, ob eine Wahrnehmung als beängstigend einzustufen ist oder eben nicht. Die Tatsache, dass das gesamte weitere Verhalten durch diese Emotion bestimmt wird, macht die Beschäftigung mit ihr Lohnenswert. Was den Umgang mit Ängsten kompliziert macht ist, dass Angst bzw. Angst zu haben ganz allgemein ein heikles Thema ist und besonders in Arbeitsbeziehungen und Unternehmen geradezu ein Tabu.

Wo immer Widerstand auftaucht, haben wir es mit Emotionen zu tun. Emotionen mit logischen Sachargumenten zu begegnen erhöht oft weiter, was man eigentlich zu verringern versucht. Es gilt allerdings eine Hypothese: Ohne Widerstand gibt es keine Veränderung! Nicht das Vorhandensein von Widerstand, sondern das Fehlen sollte uns also beunruhigen. Wer selbst jemals lang eingeübte Verhaltensweisen verändern wollte weiß, dass eine Verhaltensänderungen ein Prozess ist.

Was braucht es also für die Veränderung? In erster Linie, das Annehmen der aktuellen Situation und die Bereitschaft zur Veränderung. Widerstand kann dabei immer als ein Signal verstanden werden, das im Grunde anzeigt, dass Energiereserven vorhanden sind. Diese blockieren gegebenenfalls, was im optimalen Fall zur Umsetzung eines Vorhabens freigesetzt werden könnte. So betrachtet ist Widerstand immer auch als Motivator zu begreifen.

Angst empfinden zu können ist grundsätzlich eine vorteilhafte Eigenschaft die unser Leben in vielerlei Hinsicht erleichtert. Je nach Intensität werden durch Angst beim Menschen Verhaltensweisen ausgelöst, die zu unserer biologischen Grundausstattung gehören. Das wiederum ermöglicht uns ein Handeln, ohne vorher entsprechende Erfahrungen machen zu müssen, um uns vor lebensbedrohlichen oder sogar tödlichen Gefahren zu schützen. Das umfasst einfache Orientierungsreaktionen bis hin zu panischem Fluchtverhalten. Angst ist somit nicht nur eine lähmende, sondern auch eine mobilisierende Emotion. So sind Menschen, die sich beispielsweise vor einer drohenden Gefahr ängstigen, zu Leistungen fähig die unter normalen Umständen nicht möglich gewesen wären. In diesem Sinne beflügelt uns Angst zu einem Handeln mit großer Entschlossenheit und reichlich Energie.
Dennoch: